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Ursymbol deutscher Wohnzimmerkultur: die Schwarzwälder Kuckucksuhr. FOTOS: Jan Zawadil

Vergöttert und verdammt: die Kuckucksuhr

Wenn ich ein Vöglein hätt‘

Sie gilt als Ursymbol deutscher Wohnzimmerkultur und wird gleichermaßen vergöttert und verdammt. Doch hinter der Kuckucksuhr steckt mehr als nur Gehäuse, Zifferblatt und kleiner Vogel: Es ist die Sehnsucht nach einer großen Portion heiler Welt. Also ab in den Schwarzwald und in die Manufakturen geschaut, um dem Mythos auf den Grund zu gehen.  

Text und Fotos  JAN ZAWADIL

Prinz William und Kate haben eine, Angela Merkel hat schon welche verschenkt, und selbst Iron Maiden wollen nicht ohne sein – die Kuckucksuhr ist mindestens genauso bekannt wie die Lederhose und führt das Ranking deutscher Kulturgüter eindeutig mit an. Dementsprechend lang ist die Liste prominenter Besitzer, auf der sich auch Udo Lindenberg, Udo Walz, Jogi Löw oder Manuel Neuer finden. Doch weil sich über Geschmack nicht streiten lässt, gibt es letztlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man liebt sie oder man liebt sie nicht. Entweder man sieht in ihr das Kultstück mit Heile-Welt-Ambition oder das kitschige Ungetüm, das schon die Wand der guten Stube schmückte als man nachts noch über den Hof musste.

Weil es einem die Kuckucksuhr nicht leicht macht, hilft wohl nur ein Abstecher in den Schwarzwald. Dorthin, wo die Traditionswerkstätten und Manufakturen Zuhause sind, und wo Peter Munk in Wilhelm Hauffs Märchen vom Kalten Herz das Glasmännlein gesucht und drei Wünsche aber noch lange nicht sein Glück gefunden hat.

Dabei wird der Schwarzwald an diesem Morgen seinem Namen gerecht: Er zeigt sich von seiner düsteren, verschlossenen Seite. Belässt die Täler rund um Furtwangen und Triberg länger als die umliegenden Anhöhen im Grau und macht es der Sonne schwer, die Wiesen vom Tau zu befreien. In dieses Bild passt auch die Uhrenfirma August Schwer in Schönwald. Von außen erinnert nichts an die bunte Schwarzwald-Souvenirwelt mit ihrem Bollenhutambiente, dem Nippes, dem geräucherten Schinken oder den unzähligen großen und kleinen Flaschen mit hochprozentigem Kirschwasser.

Aus jeder Ecke ein Ticken

Doch kein erster Eindruck könnte täuschender sein. Wer die Ladentür des Traditionsbetriebs öffnet und zwei Schritte in das Geschäft macht, steht urplötzlich in einer Wunderwelt: An den Wänden reiht sich Kuckucksuhr an Kuckucksuhr, aus jeder Ecke dringt ein Ticken ans Ohr. Und geschnitzte Miniaturszenen zeigen nicht nur tanzende Mädchen mit Bollenhut, sondern auch aufspielende Musikanten oder schwer beladene Pferdefuhrwerke.

Chef und Inhaber Andreas Winter ist an diesem Morgen bestens gelaunt. Er drückt sich mit einem Lachen an dem schmalen Durchgang der Ladentheke vorbei und kommt ohne Umschweife ins Erzählen. Berichtet von den Auszeichnungen, die die Schwer’schen Uhren im Lauf der Jahre errungen haben und weiß, dass eine echte Schwarzwälder Kuckucksuhr nicht einfach so hopplahopp entsteht. „Fünf Jahre gelagertes Lindenholz“, so Winter, werde nämlich für die Uhrengehäuse verwendet. Das Gros der benötigten Gehäuseteile entstehe aber nicht in der eigenen Werkstatt, sondern werde von geschickten Schwarzwäldern in Heimarbeit in der näheren Umgebung gefertigt. Und der intensive Geruch in der Werkstatt? – Der stamme von der Spezialbeize, die für die typische, ursprüngliche Färbung beziehungsweise „für die Farbgebung, wie wir sie für ursprünglich halten“, notwendig sei.

Während Winter den Beize-Duft nicht mehr wahrnimmt und das Rezept der Spezialfarbe streng vertraulich ist, gibt es für ihn kaum etwas Schöneres als eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. Denn: „Überall tut sich etwas, überall ist was los.“ Außerdem sei jede Uhr anders, erzähle ihre eigene Geschichte und stelle teilweise vergangene Alltagsszenen dar – „oder zumindest so, wie ich sie mir vorstelle“.

Und obwohl die Kuckucksuhr oft als Inbegriff des Kitsch gilt, „fliegen viele Leute hierher, um sich ihre eigene Uhr gestalten zu lassen“, erklärt Winter. Dabei erinnert er sich immer wieder an einen jungen spanischen Millionär, der vor einigen Jahren seine ganz persönlichen Vorstellungen von einer Kuckucksuhr mitgebracht hat. „Er wollte eine Uhr in komplett afrikanischem Stil.“ Und weil Winter leidenschaftlicher Uhrengestalter ist, sei das Schwarzwaldhaus zur Hütte umgestaltet und die Szenerie mit Löwen, Elefanten, Nilpferden und Palmen aus Holz ausstaffiert worden. „Nur der Kuckuck, das musste unser Kuckuck sein. Das war Bedingung. Sonst hätte ich sie nicht gebaut.“

Zweifelsohne verbindet die Kuckucksuhr dabei immer auch Illusion und Imagination. Sie bedient Träume und Vorstellungen von einer heilen Welt, in der es weder Existenzängste noch Stress und Hektik gibt und alle Menschen friedlich nebeneinander leben. Hinzu kommt, dass sie in Zeiten einer zunehmenden Digitalisierung mit Sprachassistenten wie Alexa, Echo und Co. für etwas Grundsolides steht, das ohne gekünstelte Stimme und ohne Strom auskommt und keine Probleme mit dem Datenschutz kennt.

Genau dieses Archaische stößt ihren Gegnern auf. Das zu viel an heiler Welt, die Extraportion Gefühlsduselei mit noch mehr Schnörkeln und Heimattrunkenheit. Ihnen schlägt das aufs Gemüt, macht für sie die Uhr zum Sinnbild dafür, nicht über den eigenen Tellerrand blicken zu wollen. Eine Kuckucksuhr an der eigenen Wohnzimmerwand? – Das kommt nie in Frage!

Platzmangel? – Kein Problem: „Ich habe angebaut.“

 

Dennoch schafft sich jeder sein eigenes Stück Realitätsflucht. Welche Blüten die Leidenschaft treiben kann, weiß hingegen Ingolf Haas, Vorsitzender des Vereins die Schwarzwalduhr und selbst Inhaber einer Uhrenmanufaktur in Schonach. Ihm kommen da vor allem die Piekarski-Brüder mit ihrer Sammelleidenschaft in den Sinn. In Manchester haben sie nämlich laut eigener Aussage mit rund 700 Exponaten das größte Kuckucksuhrenmuseum der Welt.  Ebenfalls ist Haas ein Kunde in Erinnerung geblieben, der irgendwann zerknirscht in seinem Laden gestanden habe und meinte: „Herr Haas, ich kann heute keine Uhr kaufen. Ich habe keinen Platz mehr, wo ich sie aufhängen kann.“ Wobei genau der gleiche Kunde zwei Jahre später wieder strahlend bei ihm gewesen sei und wieder nach Lust und Laune Kuckucksuhren gekauft habe. Denn: „Ich habe angebaut“,  erinnert sich Haas mit einem Schmunzeln an dessen Worte.

Neben den Befindlichkeiten der Liebhaber ist die wirtschaftliche Bedeutung der Kuckucksuhr für die Region rund um Furtwangen, Triberg, Schonach oder Schönwald nicht zu unterschätzen. Rund 120 000 Kuckucksuhren wurden laut Ingolf Haas im vergangenen Jahr verkauft. Zehn Hersteller würden die Nachfrage bedienen und zwischen 700 und 800 Arbeitsplätze hingen an der Kuckucksuhr– das reiche von der Herstellung der Uhrwerke, über die Fertigung bis hin zum Verkauf. Wobei auch hier der Onlinehandel weiter an Bedeutung gewinne und schon jetzt rund 50 Prozent via Internet verkauft würden. Genau lasse sich das laut Haas aber nicht sagen, da das belieferte Händlernetz weit verzweigt sei.

Zwischen 300 und 500 Euro geben Kunden durchschnittlich für ihre echte Schwarzwälder Kuckucksuhr aus. Viele Uhren gehen in den deutschsprachigen Raum und damit auch nach Österreich und in die Schweiz. China sei laut Ingolf Haas außerdem ein nicht mehr wegzudenkender Markt. Denn: „Es gibt dort Nachholbedarf.“ Zumal die Kuckucksuhr als eines der typischsten Symbole deutscher Kultur wahrgenommen werde. Darüber hinaus ist die Kundschaft aus den USA immer noch ein gewichtiges Pfund. Auch wenn die Terroranschläge vom 11. September 2001 dazu geführt hätten, dass viele US-Amerikanerr zunächst nicht mehr nach Deutschland und somit nicht mehr in den Schwarzwald gekommen seien. Zwei Betriebe hätten das nicht überlebt.

Das Thema „Heimat“ hat geholfen

 

Ob das Trauma 11. September mit seinen Folgen letztlich eine Kehrtwende zu einem konservativeren Denken eingeleitet und dem Begriff „Heimat“ Aufschwung verliehen hat, möchte Haas hingegen nicht bestätigen.  Aber: „Das Thema ‚Heimat‘ hat uns geholfen“, sagt Ingolf Haas. Wobei er einen einsetzenden Wandel mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland vor zwölf Jahren gespürt habe.

„Es gibt kein anderes Symbol für Heimat, das so passend ist wie die Kuckucksuhr“, meint Haas deshalb weiter. Doch wer der Tradition und dem Schwarzwälder Kuckuck ans Gefieder möchte, kann es schnell mit Verfechtern des Althergebrachten zu tun bekommen. Das hat Haas unmittelbar selbst erlebt. Denn vor mehr als zehn Jahren war es um die Traditionsuhren nicht zum Besten bestellt. Die Kuckucksuhr schien keinen Platz mehr in den Wohnzimmern zu haben. Doch anstatt das Tief auszusitzen, machten sich er und seine Ehefrau Conny an die Arbeit. Tüftelten an neuen Designs und wollten die Uhren zukunftsfähig machen.

Was dabei herauskam, waren Kuckucksuhren in kubistisch anmutenden Gehäusen, mit viel Glas oder in satten Farben. Aber schon die Premiere der modernen Kuckucksuhren geriet zur Zerreißprobe. „Eine Frechheit“  meinten Liebhaber der klassischen Gehäuse, seien die neuen Kreationen. Handgreiflichkeiten während einer Messepräsentation seien laut Haas zwar ausgeblieben, doch habe dazu nicht viel gefehlt – und das obwohl man Kunst, neue Formen und die Kuckucksuhr zusammengebracht habe.

Nichtsdestotrotz: Eine Schwarzwälder Kuckucksuhr bleibt eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. Mit Produkten aus Fernost hat sie nichts zu tun. Neun von zehn Bauteilen müssen dementsprechend aus dem Schwarzwald stammen. Wobei die „Fremdbauteile“  beim Uhrenspezialisten August Schwer die geschnitzten Figuren aus Südtirol sind. Aber auch Spielwerke für Melodien werden beispielsweise aus der Schweiz bezogen, da sich in Deutschland kein Hersteller mehr findet.

Weil sich die Manufakturen an die Vorgaben halten, können sie mit Fug und Recht behaupten, dass ihre Kuckucksuhren Schwarzwälder Originale sind. Und weil sich ganz sicher immer Liebhaber mit ihren ganz eigenen Vorstellungen vom Lebensglück um sie scharen, werden wohl noch lange Zeit zwei kleine Blasebälge den Kuckucksruf ertönen und das Vögelchen pünktlich aus seinem Verschlag springen lassen.

 

 

Die Schwarzwälder Kuckucksuhr: Geschichte mit Geschichten

Fakten über die Ursprünge der Kuckucksuhr sind rar. Laut dem Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen hatte aber schon August der Starke im Jahr 1619 eine Kuckucksuhr. Wobei deren Herkunft ungeklärt ist.


Uneins sind sich aber auch die Chronisten der Schwarzwälder Uhrenmacherei. Denn laut dem Uhrenmuseum habe Markus Fidelis Jäck 1810 erklärt, dass Franz Anton Ketterer aus Schönwald zu Beginn der 1730er Jahre als erster Kuckucksuhren gefertigt habe. „Franz Steyrer hingegen berichtet in seiner ‚Geschichte der Schwarzwälder Uhrmacherkunst‘ (1796), dass Michael Dilger in Neukirch und Matthäus Hummel 1742 anfingen, Kuckucksuhren zu bauen“.


Trotz der Wirren ist sicher, dass die älteste belegbare Schwarzwälder Kuckucksuhr auf Johannes Wildi zurückgeht, der von 1755 bis 1820 gelebt hat. Außerdem ist  „der Aufruf an die vaterländischen Künstler“ verbürgt, wie Prof. Eduard Saluz, Direktor des Deutschen Uhrenmuseums , weiß. Denn im September 1850 war es Robert Gerwig der als Direktor der Großherzoglich Badischen Uhrmacherschule in Furtwangen zu einem Wettbewerb für ein zeitgemäßes Uhrendesign aufgerufen hatte. Steckten die Schwarzwälder Uhrenmacher doch schon damals in einer Krise.


Als Sieger des Wettbewerbs ging damals übrigens Friedrich Eisenlohr hervor. Und der war als Architekt nicht nur für die zahlreiche Bauwerke entlang der Strecke der badischen Staatseisenbahn verantwortlich, er hatte vor allem das seinerzeit typische Bahnwärterhäuschen als Vorbild für das neue Kuckucksuhrgehäuse vorgeschlagen.


Weil die Zeit nie stehenbleibt, entwickelte sich die Häuschenform trotzdem schnell weiter. Bereits ab 1860 ging der Trend weg von den streng grafischen Formen. Mit reich verzierten Häuschen samt geschnitzten Figuren und Gewichten in Tannenzapfenform schmückten die Leute von nun an ihre heimischen Stuben – und an dieser klassischen Form halten viele Liebhaber bis heute fest.

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